Stellungnahme des
Vereins Säkularer Islam Hamburg e.V.
zum
"Fall Dr. Ourghi" (Entzug der Lehrbefugnis) / PH Freiburg/Br.




• An das Rektorat der PH Freiburg/Br.
An das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
  Baden-Württemberg, z.H. Frau Ministerin Theresia Bauer
An die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg


Sehr geehrtes Rektorat der PH Freiburg/Br.,
sehr geehrte Frau Ministerin Bauer,
sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
im Landtag von Baden-Württemberg!


Der Vorstand des Vereins Säkularer Islam Hamburg e.V. nimmt zum
aktuellen Fall des Entzugs der Lehrbefugnis für Dr. Abdel-Hakim Ourghi
an der PH Freiburg wie folgt Stellung.


Der deutsch-algerische Islamwissenschaftler Dr. Abdel-Hakim Ourghi ist eine der bekanntesten reform-islamischen Persönlichkeiten in Deutschland. Weil der Lehrer für Religionskunde an der PH Freiburg für einen säkularen und liberalen Islam eintritt, will man ihm nach zehnjähriger Lehrtätigkeit nun die Erteilung von islamischen Lehrerlaubnissen verweigern.

Baden-Württembergs Landesregierung hat im Herbst 2019 den islamischen Religionsunterricht im Land neu organisiert. Orthodoxen Islamverbänden wie der „Stiftung Sunnitischer Schulrat“ wurde die Organisation des Unterrichts und der Lehrerausbildung übertragen. Die Stiftung verantwortet nunmehr die Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts.

Die personelle Zusammensetzung der Stiftung ist willkürlich und nicht repräsentativ für die Interessen der Musliminnen und Muslime in unserem Land. Die Mehrheit der säkular lebenden und nicht in Verbänden organisierten Musliminnen und Muslime und deren legitime Ansprüche auf eine liberale und zeitgemäße, an den Grundwerten des Grundgesetzes und des Säkularstaatsprinzips orientierte Vermittlung religiöser Inhalte findet in der Stifrung keine Berücksichtigung. Auch die vorgeblich formalen Gründe für die Verweigerung der Befugnis für Dr. Ourghi – der sog. „Idschaza“ –, Islamlehrer für den Schuldienst in Baden-Württemberg auszubilden, erscheinen religionspolitisch motiviert.

Es fordert uns zum Widerspruch heraus, wenn Fachleute wie Dr. Ourghi, die mit ihrer Arbeit junge Menschen zu einem kritischen, eigenverantwortlichen Blick auf den Islam bewegen wollen, durch orthodoxe Islamverbände und deren politische Unterstützer in Parlamenten und Landesregierungen angegriffen, diskreditiert und in ihrer Arbeit behindert werden.

Besorgt müssen wir feststellen: Der politische Islam strebt immer mehr nach Einfluss, und unsere Politik lässt ihn gewähren. Zudem haben die Islamverbände mit Kommissionen für den islamischen Religionsunterricht oder mit Staatsverträgen wie in Hamburg und Bremen ein Trojanisches Pferd installiert bekommen, über das sie sukzessive – immer unter dem Deckmäntelchen der Religionsfreiheit – auch Einfluss auf die Bildung nehmen wollen. Der „Fall Ourghi“ ist hierfür exemplarisch.

Der politische Islam verändert zunehmend unsere Gesellschaft. Wir müssen dringend von den auch in der Politik zirkulierenden kulturrelativistischen Vorstellungen und Bagatellisierungen Abstand nehmen, unserer Werte und Normen immer wieder islamisch einschränken zu lassen – am liebsten unter der Devise des „Multikulturalismus“.

Dr. Ourghi ist einer der wenigen Islamwissenschaftler, die in der Lehre versuchen, von der geistlosen Texthörigkeit abzuweichen und einen säkularen, zeitgemäßen Islam zu lehren, der die Geltung der Scharia dort verneint, wo die universelle islamischen Normenlehre nicht in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Landes sowie mit den Grund- und Menschenrechten gemäß der UN-Charta steht.

Nach Meinung der unterzeichnenden Vereine Säkularer Islam in Hamburg und in Rheinland-Pfalz sowie der im Herbst 2019 gegründeten bundesweiten „Initiative Säkularer Islam“ verlangt der „Fall Ourghi“ dringend, dass die Landesregierung in Stuttgart, aber auch alle kommunalen Körperschaften grundsätzliche eine Neubewertung ihrer islamischen Kooperationspartner vornehmen müssen – hier muss zu allererst explizit und öffentlich von den islamischen Verbänden eine klare Abkehr von den nicht rein ritus- und frömmigkeitsbezogenen Teilen der Scharia als Richtschnur für Lehre und religiöse Praxis erklärt werden; die Scharia ist schließlich, nach mehrfachen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, großenteils „inkompatibel mit den fundamentalen Prinzipien in der Demokratie“. Es kann daher keine Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden und keine Aufgabenübertragung mehr für sie geben, wenn sie eine solche Ungültigkeitserklärung zur Scharia nicht abgeben wollen.


Von der PH Freiburg erwarten wir, dass Dr. Ourghi im Rahmen seiner Aufgabe weiterhin tätig sein kann, bis für die anzustrebende Neuausrichtung der islamischen Lehrerausbildung eine neue, grundgesetzkonforme Regelung gefunden wurde. Die Landesregierung fordern wird hierbei zu einer raschen und zielführenden Handlungsweise auf.


Hamburg, den 3. Juli 2021

Gezeichnet:

Verein Säkularer Islam Hamburg e.V.: Dr. Necla Kelek, Vorsitzende
E-Mail: info@vsi-hh.de

Diese Stellungnahme wird unterstützt durch:

- Verein Säkularer Islam Rheinland-Pfalz e.V., Mainz
- "Initiative Säkularer Islam": Ali Ertan Toprak, Sprecher, Hamburg
- Terre des Femmes e.V., Berlin



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